Juli ist ein außergewöhnlicher Jubiläumsmonat

Home / News / Juli ist ein außergewöhnlicher Jubiläumsmonat

Juli ist ein außergewöhnlicher Jubiläumsmonat

Juli ist ein außergewöhnlicher Jubiläumsmonat

Auf Juli fallen sehr wichtige Jubiläen in der Geschichte des Institutes für Physiologie und Patholo-gie des Gehörs. Für Prof. Henryk Skarżyński und sein Team bedeutete Juli immer keine Erholungs-zeit, sondern harte Arbeit. 2020 werden zwei Jubiläen gefeiert: Das 18. Jubiläum der Durchfüh-rung der weltweit ersten gehörwiederherstellenden Operation bei einem Patienten mit partiel-lem Hörverlust durch Prof. Henryk Skarżyński und das 28. Jubiläum der ersten Implantation eines Cochlea-Implantates bei einer gehörlosen Person durch Prof. Henryk Skarżyński. Am 16. Juli 1992 erhielt ein erwachsener Patient das in Polen erste Cochlea-Implantat, ein Tag später – ein Kind. Mit den bahnbrechenden Eingriffen eröffnete Prof. Skarżyński ein neues Kapitel in der Geschich-te der Ohrchirurgie.

– An diesem sehr heißen Julitag erschien ich vor 7 Uhr bei der Arbeit, um früher in den OP-Trakt zu gehen. Wir wollten die Operation in das benachbarte Gebäude in einen kleinen Seminarraum über-tragen und sie dort aufnehmen, deshalb wollte ich prüfen, ob alles darauf vorbereitet ist – wie sich Prof. Henryk Skarżyński erinnert. – Vergessen Sie nicht, dass es damals noch keine Online-Übertragungen im Internet gab und es nicht so selbstverständlich war, wie die Aufnahme der Welt gezeigt werden kann. Auf dem Weg zurück ins Klinikum begegnete ich einem Fernsehteam im Fahrstuhl. Wie es sich später herausstellte, war es eins von sieben. Jemand aus dem Team fragte, ob heute DIESE Operation stattfindet und ob ich weiß, wo sie den Dozenten Skarżyński finden kön-nen. Nach dem Verlassen des Aufzugs fand dann sofort das erste Interview statt. Ich war mir da-mals dessen nicht bewusst, dass es ein historischer Moment ist, dass alle auf einen Erfolg hoffen, dass so viel nicht nur von meinen Fähigkeiten, sondern auch einfach vom Glück abhängt, das man bei jeder Operation haben muss.

Nach der Pionieroperation im Jahr 1992 startete in Polen das Programm der Behandlung der Gehör-losigkeit mit Cochlea-Implantaten. Eben für die Zwecke des Programms entstand das neue Diagno-se-, Therapie- und Rehabilitationszentrum für Gehörlose und Schwerhörige „Cochlear Center” aus der Initiative von Prof. Skarżyński, das den Patienten eine umfassende Betreuung bieten sollte. Das Zentrum wurde feierlich am 14. Juli 1993 von der polnischen Ministerpräsidentin Hanna Suchocka eröffnet.
Bereits nach einigen Wochen wurden einige zehn Patienten täglich ins Zentrum aufgenommen und ca. 200 fachärztliche Untersuchungen durchgeführt. Das war jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Von Anfang an betrieb das “Cochlear Center” auch wissenschaftliche Tätigkeit. Zwei Monate nach der Eröffnung fand die 1. Internationale Konferenz über Cochlea-Implantate in Polen statt.

Am 12. Juli 2002 führte Prof. Henryk Skarżyński die weltweit erste Implantation eines Cochlea-Implantates bei einer erwachsenen Person mit partiellem Hörverlust durch. Dadurch startete er das neue Programm der Behandlung des partiellen Hörverlustes.
Lange Zeit war die Meinung in den medizinischen Kreisen verbreitet, dass die Implantation einer Elektrode mit der irreversiblen Beschädigung der Cochlea gleichbedeutend ist. Deshalb glaubte man, dass die Behandlung von Personen mit partiellem Hörverlust unmöglich ist. Denn die Implan-tation würde diesen Teil der Cochlea (der für die Wahrnehmung von Niederfrequenztönen ver-antwortlich ist) zerstören, der normal arbeitet, und damit dem Patienten die Hörreste wegneh-men. Die von Prof. Skarżyński entwickelte chirurgische Technik des Zugangs zum Innenohr durch das Schneckenfenster erwies sich als eine sehr wirksame Methode, die die Hörreste im Niederfre-quenzbereich erhalten ließ. Es wurde auch befürchtet, dass es zur Integration der Information kommt, die die Gehörzentren des zentralen Nervensystems durch die gleichzeitige elektrische und akustische Stimulation des Hörrezeptors bekommen. In der Otologie herrschte die Überzeugung vor, dass die Verbindung der zwei Arten des Gehörs unmöglich ist. Dank der Anwendung einer speziellen Prozedur der Einstellung des Sprachprozessors durch die klinischen Ingenieure des Insti-tutes wurde eine solche Integration erreichbar. Die bahnbrechende Operation wurde von Prof. Skarżyński live im Internet übertragen. Ihren Verlauf beobachteten Tausende von Spezialisten aus der ganzen Welt. Der erfolgreiche Eingriff wurde zum Anfang eines breit aufgefassten, internatio-nalen Programms der Behandlung des partiellen Hörverlusts (Partial Deafness Treatment, PDT).

Ähnlich wie vor 10 Jahren wurde Prof. H. Skarżyński von Kameras begleitet, die den Eingriff live ins Internet und in den Konferenzsaal übertragen haben, wo Journalisten von Radio- und Fernseh-nachrichtensendungen sowie Pressejournalisten den Verlauf der Operation verfolgten.

– Es war der erste kühne Versuch davon, was wir heute Telemedizin, Tele-Ohrchirurgie nennen – wie sich Prof. Skarżyński erinnert. – Damals bedeutete die Vorbereitung einer solchen Übertragung, Bewältigung der Datenübertragungsrate, verschiedener technischer Elemente eine richtige Her-ausforderung. Zum ersten Mal sagte ich zu mir so: „Wenn das nicht gelingt, sollen die Leute welt-weit wissen, warum es nicht gelungen ist. Und wenn das doch gelingt, dann kann ich bis Ende mei-nes Lebens sagen: Ich führte die weltweit erste Operation bei partiellem Hörverlust, wo der Patient einen Teil der Töne hörte und das Ohr im anderen Bereich nicht intakt war, vor den Augen der An-deren durch“ – fügt Prof. Skarżyński hinzu.

Bis 2002 wurden die Implantationen eines Cochlea-Implantates ausschließlich bei tiefen Hörschä-den oder vollem Hörverlust durchgeführt. Eine zahlreiche Gruppe von Patienten mit partiellem Hörverlust hatte weiterhin keine Möglichkeit einer wirksamen Behandlung.

Heute bildet das Weltzentrum für Gehör am Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs die unbestreitbar weltweit führende Kapazität auf dem Gebiet der HNO-Heilkunde, Audiologie und Phoniatrie. Im Institut wurden bisher ca. 500 Tsd. chirurgische Prozeduren durchgeführt. Polnische Patienten sind die weltweit ersten bzw. einige von den weltweit ersten, die Zugang zu den mo-dernsten medizinischen Technologien haben. Die Einrichtung in Kajetany ist die weltweit führende Kapazität auf dem Gebiet der HNO-Implantologie hinsichtlich der Anzahl der durchgeführten ge-hörverbessernden Prozeduren (jährlich sind das ca. 15.000 Eingriffe). Von den Spezialisten des Weltzentrums für Gehör werden heute knapp 10 Tsd. Cochlea-Implantat-Träger betreut.
Heute ist das Institut auch ein Prestige-Didaktik- und Schulungszentrum, wohin Ärzte aus allen Kon-tinenten kommen, um hier chirurgische Techniken und medizinische Prozeduren zu lernen, die von mir erarbeitet wurden. Kajetany ist der weltweit beste Ort für die Übung chirurgischer Techniken. Uns ist gelungen, das Bildungszentrum mit der einmaligen Arbeitsstelle mit 30 ohr- und rhinochirur-gischen Arbeitsplätzen zu erbauen, die mit modernen Geräten für das Üben an anatomischen Prä-paraten und Computersimulatoren ausgestattet sind. Das Institut setzt seit einigen Jahren ein Pro-gramm der Reihenuntersuchungen der Bevölkerung in Bezug auf Früherkennung von Hörstörun-gen bei polnischen Kindern um, die mit der Schulbildung erst beginnen.
Seit einigen Jahren werden die Jubiläumsfeier mit dem Internationalen Musikfestival “Schnecken-rhythmen” für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Hörstörungen verbunden. In diesem Jahr wird das Festival unter dem Motto „Klangfülle auf der anderen Seite des Spiegels“ veranstaltet und durch Wissenschafts- und Musikworkshops sowie die 6. Internationale Wissenschaftliche Konfe-renz „Musik in der Hörentwicklung des Menschen“ begleitet.
– Aufgrund der epidemiologischen Situation im In- und Ausland hat das diesjährige Festival einen anderen Charakter – wie der Ideengeber und Organisator der Veranstaltung sagt. – Ich glaube aber tief daran, dass es trotz seiner veränderten Form viele wichtige Kenntnisse und einmalige Musiker-lebnisse liefert. Das Festival wird traditionell durch Treffen mit Experten begleitet; das Programm der diesjährigen Workshops umfasst solche Bereiche wie Musiktherapie, Kunsttherapie oder Stimmproduktion. Zum Schluss will ich Sie wie immer zum Galakonzert mit Beteiligung von speziel-len Gästen und Preisträgern der vorherigen Ausgabe einladen. Lassen wir dies eine Zeit sein, in der wir wieder sehen und hören, dass das möglich ist, was uns unmöglich schien.