Der internationale Kongress und die nationale Konferenz begannen mit Schauoperationen von Prof. Henryk Skarżyński und seinem ohrchirurgischen Team aus dem Weltzentrum für Gehör. Diese Sitzung umfasste chirurgische Eingriffe, die bei Patienten mit verschiedenen Arten von Hörstörungen und unter Verwendung von verschiedenen hörunterstützenden Geräten, darunter Hörimplantaten durchgeführt werden. Prof. Henryk Skarżyński präsentierte u.a. Operationen der Implantation von Cochlea-Implantaten durch das Schneckenfenster bei Patienten mit partiellem und vollständigem Hörverlust mit der von ihm entwickelten Methode der 6 Schritte. Er führte auch Schauoperationen zur Implantation von Mittelohr- und Knochenleitungsimplantat sowie solche Mittelohroperationen wie Ossikuloplastik (Wiederherstellungsoperation der Klangleitungskette der Gehörknöchelchen, die durch einen Entzündungsprozess bzw. ein Cholesteatom beschädigt wurden) und Stapedotomie (Ersatz des unbeweglichen Gehörknöchelchens (Stapes) durch eine Prothese, der bei der Behandlung von Otosklerose Anwendung findet) durch.
Die Reihe der Schauoperationen, in der die modernen Möglichkeiten der chirurgischen Behandlung von Hörstörungen präsentiert wurden, bildete eine Zusammenfassung von über 40 Jahren wissenschaftlicher und klinischer Arbeit von Prof. Dr. Henryk Skarżyński und knüpfte an die in diesem Jahr im Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs gefeierten Jubiläen an:
Vor 30. Jahren, im Jahr 1992 implantierte Prof. Henryk Skarżyński als erster in Polen ein Cochlea-Implantat bei einer gehörlosen Person. Die bahnbrechende Operation stellte den ersten Schritt zur Entwicklung der Behandlung von Gehörlosigkeit in Polen dar.
Vor 25 Jahren, 1997, war Prof. Henryk Skarżyński der erste weltweit, der ein neues Programm in New York präsentierte, das die damaligen Indikationen für die Verwendung von Cochlea-Implantaten zur Behandlung von vollständiger Taubheit erweiterte; er startete seine Studie und begann mit der Durchführung regelmäßiger Operationen bei Patienten mit hochgradigem Hörverlust, die präoperative Hörreste im Niederfrequenzbereich nach der Implantation erhalten ließen. Die Studie zeigte, dass eine entsprechende Implantation der Implantatelektrode in das Innenohr die Erhaltung des vorhandenen Hörvermögens sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern möglich macht. Die Ergebnisse wurden 2000 von Prof. Skarżyński und Mitarbeitern auf der 5. Europäischen Konferenz zu Cochlea-Implantaten bei Kindern in Antwerpen und auf dem 4. Kongress der Europäischen Föderation von HNO-Gesellschaften in Berlin von Dr. Artur Lorens und Mitarbeitern präsentiert. Die Bedeutung dieser Leistungen ist enorm. Die Spezialisten vom Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs haben nachgewiesen, dass ein gut funktionierender Cochlea-Teil nicht – wie bisher angenommen – bei der Implantation beschädigt werden muss. Die Ergebnisse ließen vermuten, dass künftig das möglich wird, was bisher als irreal gilt: Erfolgreiche Behandlung von Personen mit partiellem Hörverlust, bei denen das regelrechte bzw. sozial brauchbare Gehör im Niederfrequenzbereich bis 250 Hz, 500 Hz und 1500 Hz erhalten ist.
Vor 20 Jahren, im Jahr 1990 führte Prof. Henryk Skarżyński die weltweit erste Implantation eines Cochlea-Implantates bei einer Person mit partiellem Hörverlust durch. Vorher wurden die Implantate nur bei hochgradigen Hörschäden bzw. vollständigem Hörverlust eingepflanzt. Patienten, die aufgrund einer Schädigung der für den Empfang hochfrequenter Töne zuständigen Teile des Innenohrs (Cochlea) Schwierigkeiten beim Hören und Verstehen der Sprache hatten (der sog. partielle Hörverlust, partial deafness treatment, PDT), hatten keine Chance auf eine ähnliche Behandlung. Das Einführen einer Implantatelektrode in die Cochlea könnte nach damaligem Kenntnisstand diese irreversibel schädigen und die hörverbundenen Prozesse stören, für die Beschreibung deren Prof. Georg Békésy 1961 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Auf der Grundlage der Studienergebnisse aus den Jahren 1997–2000, die zeigten, dass es möglich ist, Hörreste nach nach der Implantation zu erhalten, hat Prof. Henryk Skarżyński einen Patienten mit partiellem Hörverlust in der von ihm entwickelten Technik operiert, bei der die Elektrode durch das Cochlea-Fenster eingeführt wurde. Die Operation wurde 2002 an viele Zentren in der Welt im Internet live übertragen. Die Effekte des Eingriffs waren ausgezeichnet. Aktuell wird die sog. Methode der 6 Schritte nach Skarżyński allgemein in ohrchirurgischen Kliniken weltweit angewandt. Nur im Weltzentrum für Gehör wurden bisher 9 Tsd. Operationen in dieser Technik durchgeführt.
Das Programm des 35. Weltkongresses für Audiologie war äußerst reichhaltig: Am ersten Tag fanden Workshops und wissenschaftliche Sitzungen zur Implantatanpassung, Diagnostik und Behandlung von Tinnitus, der immer häufiger bei Patienten diagnostiziert wird, sowie zu auditiver Verarbeitung und zentralen Hörstörungen, Screening und Früherkennung von Hörverlust statt. An dem in Kajetany und Warschau veranstalteten Kongress nahmen die hervorragendsten Experten im Bereich der HNO-Heilkunde, Audiologie und Phonatrie statt, darunter: Prof. Kurt Stephan, Präsident der International Society of Audiology (ISA) – Veranstalter des Kongresses, einer der herausragendsten Spezialisten im Bereich der Audiologie und Wegbereiter der Anwendung objektiver Untersuchungen bei der Implantatanpassung (aus Österreich), Prof. Olivier Sterkers, weltbekannter Schädelchirurg (aus Frankreich),Prof. Manuel Manrique, angesehener HNO-Facharzt und Ohrchirurg, sowie Facharzt für Ohrneurologie (aus Spanien), Prof. James W. Hall, einer der herausragendsten Spezialisten auf dem Gebiet objektiver Hörtests (aus den USA) sowie mehrere hundert weitere Experten aus allen Kontinenten.
Der Kongress begann im Weltzentrum für Gehör am Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs in Kajetany, in dem – was erwähnenswert ist – die meisten hörverbessernden Operationen weltweit durchgeführt werden. Das Zentrum verfügt über moderne Geräte und Apparate und wendet die modernsten telemedizinischen Lösungen an. Daher wurden am ersten Tag des Treffens Workshops angeboten, die von herausragenden Experten durchgeführt wurden und den Teilnehmern ihre praktischen Fähigkeiten verbessern ließen. Diese Workshops umfassten unter anderem Beurteilung des Gehörs mit objektiven Methoden bei Säuglingen, Tinnitustherapie, Beurteilung der auditiven Überempfindlichkeit mit Hilfe audiologischer und psychometrischer Tests, ergänzt durch eine vertiefte klinische Anamnese, sowie Einsatz bildgebender Verfahren bei Untersuchungen des Gehörsystems und der Sprachverarbeitung. Der letztgenannte Workshop fand im Wissenschaftlichen Zentrum der Biomedizinischen Bildgebung am Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs statt, wo unter anderem Untersuchungen von Hörprozessen mit funktioneller Magnetresonanz- und Computertomographie seit vielen Jahren durchgeführt werden.
Neben den Workshops wurden einige wissenschaftliche Sitzungen für den ersten Tag des Kongresses vorgesehen, von denen zwei der Anpassung von Cochlea-Implantaten gewidmet waren. Von der Prozedur hängt es im großen Maße ab, welche Nutzen der Patient nach der Implantation des Gerätes hat. Sie ist aber derart kompliziert, dass bereits über die sog. Automatisierung der Implantatanpassung in der Zukunft gesprochen wird. Aktuell gibt es keine bestimmten, weltweit akzeptierten Richtlinien in Bezug auf den Anpassungsprozess, weshalb weitere wissenschaftliche Maßnahmen notwendig sind, die ihn im Hinblick auf individuelle Bedürfnisse und Möglichkeiten der Patienten verbessern lassen. Denn es gibt Patientengruppen, bei denen nicht standardmäßige Einstellungen notwendig sind. Als Beispiel wurden autistische Patienten genannt, die mit dem Spezialisten nicht genug gut kooperieren können, sodass er auf der Grundlage subjektiver Empfindungen des Implantatträgers bzw. seiner Beobachtungen die richtige Entscheidung über einzustellende Parameter des Sprachprozessors treffen kann. Eine weitere Patientengruppe bilden Personen mit Lähmung des Gesichtsnervs, bei denen andere Stimulationsmethoden und andere Einstellungen als bei den meisten schwerhörigen Personen angewandt werden müssen, damit die Reizung dieses Nervs bei gleichzeitiger Optimierung des Hörens minimiert werden kann.
Eine separate Gruppe machen auch Patienten aus, bei denen das eine Ohr mit einem Cochlea-Implantat und das andere mit einem Hörgerät versorgt ist. Während der Sitzung unter der Leitung von Prof. Manuel Manrique, einem bekannten spanischen HNO-Facharzt, Ohrchirurgen und Spezialisten für Ohrneurologie wurde erörtert, wie die beiden Geräte eingestellt werden sollen, damit der Patient den maximalen Hörnutzen bekommt.
Während der Sitzung erfolgte auch ein Erfahrungsaustausch bezüglich der Anpassung auf der Grundlage von subjektiven Beobachtungstests (der Spezialist fragt den Patienten, wie – leise oder laut – er während der Stimulation der einzelnen Elektroden hört) und von Ergebnissen von Biomarker-Messungen (wie z.B. die Messung des elektrisch evozierten Gesamtpotentials des Hörnervs). Viel Aufmerksamkeit wurde u.a. der Untersuchung des Steigbügelmuskelreflexes gewidmet, dank dem Patienten, insbesondere die jüngsten vor der Überstimulierung bei der Einstellung des Sprachprozessors geschützt werden können. Der Steigbügelmuskelreflex bildet einen Schutzmechanismus, der das Innenohr vor akustischen Verletzungen schützt. Bei einem intensiven, lauten Geräusch sendet das Gehirn ein Signal ab, das die Kontraktion des Steigbügelmuskels verursacht. Bei Implantatträgern weist das Auftreten dieses Reflexes darauf hin, dass Geräusche, die den zentralen Teil der Hörbahn durch den Hörnerv erreichen, als sehr laut interpretiert werden. Die Ergebnisse der Steigbügelreflexuntersuchung sind gerade bei kleinen Patienten sehr wichtig, da Kinder nicht immer erkennen können, welche Reize leise und welche laut sind, weshalb das Risiko einer Überstimulation bei ihnen größer ist.
Es ist erwähnenswert, dass die Erforschung des Steigbügelreflexes in den 80. Jahren von einem der Moderatoren des Workshops zur Anpassung von Cochlea-Implantaten, Prof. Dr. Kurt Stephan, aktuellem Präsidenten der International Society of Audiology gestartet wurde. Im Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs wird der Steigbügelmuskelreflex im Rahmen der Wahl der Stimulation untersucht. Nicht alle Zentren verwenden aber die Untersuchung. – Das Interesse von Fachleuten an diesem Thema zeugt davon – wie der Mitmoderator der Sitzung, Prof. Artur Lorens kommentiert –, dass nach jahrelanger wissenschaftlicher Forschung die Prüfung des Steigbügelmuskelreflexes in der klinischen Praxis von ohrchirurgischen Zentren immer häufiger Anwendung findet.
Das Programm umfasste auch wissenschaftliche Sessionen zur Implantatanpassung, Diagnostik und Behandlung von Tinnitus, der immer häufiger bei Patienten diagnostiziert wird, sowie auditive Verarbeitungsprozesse und zentrale Hörstörungen, Screening und Früherkennung von Hörverlust. Den Tag beendeten die offizielle Eröffnung des Kongresses von seinem Präsidenten, Prof. Henryk Skarżyński und die Weltpremiere des Dokumenarfilms „Meine Mondscheinsonate“, dessen Regie Barbara Kaczyńska führte und der medizinisch von Prof. Henryk Skarżyński konsultiert wurde.
Der Protagonist des Films ist Grzegorz Płonka – einer der musikalisch talentierten Patienten des Professors und Gewinner der ersten Ausgabe des Internationalen Festivals „Schneckenrhythmen“. Seine außergewöhnliche, von Barbara Kaczyńska verfilmte Geschichte (ein Junge mit hochgradiger Schwerhörigkeit, der in der Kindheit als autistisches Kind galt, hat ein musikalisches Talent und eine Leidenschaft, die ihm die Kraft gibt, nicht nur für die Verbesserung seines Gehörs, sondern auch für den Abschluss einer Musikschule zu kämpfen), wurde 2017 während des Festivals für Dokumentarische Formen NURT in Kielce präsentiert und gewann den Jahresspezialpreis des Radiosenders Kielce – “für die Kunst des Tons in dokumentarischer Form”. Wie die Regisseurin Barbara Kaczyńska zugab, „war der Ton das Wichtigste in diesem Film, weil ihr Protagonist das Gehör und gleichzeitig die Möglichkeit eines erfüllten, kreativen Lebens wiedererlangte“. Im Programm der Festspiele von Kielce wurde der Film als wichtiges Filmbeispiel des Schicksals eines jungen Musikers beschrieben, der dank der medizinischen Meisterhaftigkeit von Professor Henryk Skarżyński nicht nur das Gehör wiedererlangt, sondern an die Schwelle zu einer riesigen künstlerischen Karriere tritt.
Der dritte Tagungstag des Kongresses bot die Möglichkeit des Wissens- und Erfahrungsaustausches bezüglich der Diagnostik und Behandlung von Gehörstörungen, darunter auch auf dem ohrchirurgischen Gebiet. Viel Platz wurde den Berichten über die Probleme gewidmet, auf die Ohrchirurgen in der täglichen klinischen Praxis stoßen, wenn sie verschiedene Arten von Geräten bei verschiedenen Patientengruppen implantieren. Zu den wichtigsten Veranstaltungen des dritten Kongresstages gehörten sicherlich die Diskussionsrunden zum Einsatz verschiedener Implantattypen (Cochlea-, Mittelohr- und Knochenleitungsimplantate) und zur Wiederherstellungschirurgie, die von Prof. Dr. Piotr H. Skarżyński moderiert wurden. Am Anfang der Tagung versuchten die Experten die Frage zu beantworten, welche von den in den letzten 5-10 Jahren eingesetzten Geräten für die wichtigsten erachtet werden können. Die Spezialisten waren sich diesbezüglich nicht einig, viele sprachen sich aber dafür, dass es das erste nicht implantierbare Knochenleitungsgerät Adhear ist. Während des Treffens wurde der Einsatz verschiedener Lösungen bei Patienten mit einseitiger Taubheit ausführlich diskutiert, wobei sowohl nicht-chirurgische (CROSS-System) als auch ohrchirurgische Methoden unter Verwendung von Cochlea- oder Knochenleitungsimplantaten angesprochen wurden.
Ein Thema von besonderem Interesse war die Behandlung von Patienten, die nach COVID-19 auf einem Ohr taub wurden. Die in einem solchen Fall empfohlene Behandlung machen Cochlea-Implantate aus. Solche Operationen werden bereits im Weltzentrum für Gehör durchgeführt; es werden auch klinische Daten zum Rehabilitationsverlauf in dieser Patientengruppe gesammelt, wie Prof. Artur Lorens sagte. Weitere während der Tagung am runden Tisch diskutierte Themen waren: Modifikationen von Prothesen bei Mittelohroperationen, Verwendung von bioaktivem Glas, Verwendung von Hörgeräten bei Patienten nach Stapedotomie, optimale ohrchirurgische Lösungen bei älteren Patienten – und viele andere.
Einer der Teilnehmer am Runden Tisch war Prof. Ranjith Rajeswaran aus Indien, der Bahnbrecher im Bereich der Implantationsaudiologie und Hörrehabilitation bei Kindern und Erwachsenen mit Cochlea-Implantaten ist. Er war der erste in Südostasien, der unter anderem Behandlung mit Hirnstamm-Implantaten zur Wiederherstellung des Gehörs bei Kindern einsetzte, die kein Innenohr und keinen Hörnerv hatten. Einer seiner Vorträge war eben den Hirnstamm-Implantaten gewidmet. Die Implantation von Hirnstamm-Implantaten bei Kindern bildet einen der kompliziertesten Eingriffe in der Implantologie; sie wird selten durchgeführt, und die Möglichkeiten und die Begründetheit ihrer Verwendung (führt nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen) werden seit vielen Jahren von Spezialisten aus der ganzen Welt diskutiert.
Im Zuge der Diskussion über die Wirksamkeit der Implantatbehandlung erscheint die Information sehr wichtig, die auf einen Zusammenhang zwischen auditiven, visuellen und kognitiven Fähigkeiten hinweist. Dass Cochlea-Implantate die Lebensqualität von Patienten verbessern, steht außer Frage. Es gibt allerdings Diskrepanzen in den Vorteilen ihrer Anwendung, insbesondere im Hinblick auf das Sprachverstehen, das – wie die Forschung zeigt – ein Prozess ist, der nicht nur das Hörsystem, sondern auch viele Sinne betrifft: Visuelle Informationen in Form von Lippenbewegungen und Gesichtsausdrücke werden mit den auditiven Informationen integriert. Auch kognitive Prozesse (wie Arbeitsgedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit) sind am Prozess des Sprachverstehens beteiligt, insbesondere wenn das Sprachsignal durch Lärm, Hörverlust oder implantatgestütztes Hören verzerrt ist. Derzeit laufen Studien zu Interaktionen zwischen auditiven, visuellen und kognitiven Fähigkeiten. Diese im Detail zu erforschen, soll vermutlich helfen, noch effektivere Methoden der Hörrehabilitation bei Hörimplantatträgern zu entwickeln.
Die Beurteilung der Wirksamkeit der Implantatbehandlung und der anschließenden Hörrehabilitation wird seit langem unter Fachleuten diskutiert. Während des Kongresses fand ein von Prof. Arthur Lorens moderiertes Diskussionspanel u.d.T. “Neue Methoden der Messung des Patientennutzens nach einer Cochlea-Implantation“ statt. Die neue Methode der Beurteilung basiert auf der Verwendung des Funktionsmodells der Behinderung, das durch die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health – Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) entwickelt und als integriertes biopsychosoziales Modell der Funktionsfähigkeit und Behinderung beschrieben wird. Unter Bezugnahme auf die Definition wird nicht nur der Hörnutzen des Patienten bewertet, der sich aus der Implantation ergibt (Grad der Verbesserung der Wahrnehmung von Geräuschen, Grad der Verbesserung bei der Erkennung, Unterscheidung und Identifizierung von Sprachsignalen), sondern auch der damit verbundene Nutzen im Zusammenhang mit seiner aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Um das Letztere zu messen, werden speziell entwickelte Tools (Patient-Reported Outcome Measures, PROMs) und Fragebögen verwendet. Die Methode der Beurteilung des Patientennutzens nach einer Implantation gilt als umfassender und objektiver – denn es gibt Situationen, in denen der Patient nach der Behandlung sehr aktiv wird und am sozialen Leben teilnimmt, obwohl seine Hörtestergebnisse als durchschnittlich angesehen werden können und umgekehrt: Die sehr guten Ergebnisse der audiologischen Tests nach der Implantation müssen nicht zu solchen positiven Veränderungen in der Aktivität und Teilnahme des Patienten am sozialen Leben führen.
Der nächste Kongresstag bot viele wichtige Themen: Die Diskussionen am runden Tisch unter der Leitung des bekannten Audiologen Prof. James Hall von der Salus University (Pennsylvania) waren den so genannten bewährten Praktiken in der Audiologie, einer Reihe von Empfehlungen und Leitlinien auf diesem Gebiet der Medizin gewidmet, die dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens entsprechen und darauf abzielen, Verfahren in der Phase der audiologischen Diagnostik und Behandlung zu standardisieren. Während der Sitzung wurden u.a. audiologische Versorgungssysteme präsentiert, die in verschiedenen Ländern der Welt eingeführt wurden – wobei immer wieder auf die zunehmend verwendeten telemetrischen Lösungen (E-Health, E-Screening) verwiesen wurde. Im Rahmen der Diskussion stellten auch Spezialisten aus Ländern ihren Standpunkt dar, in denen die Medizin auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in Europa oder Amerika liegt. Unter Bezugnahme auf die schwierige Situation im senegalesischen Gesundheitssystem und die fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Audiologie bedankte sich ein Audiologe aus Senegal beim Internationalen Hör- und Sprachzentrum „Medincus“ für die wissenschaftliche und pädagogische Zusammenarbeit, die ihm die Chance bietet, das Niveau der audiologischen Versorgung in seinem Land zu erhöhen. Wie am Ende betont wurde, ist der Patientennutzen immer am wichtigsten, daher wurde vorgeschlagen, dass während des zukünftigen Weltkongresses für Audiologie, der in zwei Jahren in Paris stattfinden soll, eine ähnliche Sitzung mit Beteiligung von Patienten abgehalten wird. – Die Debatte über gute Praktiken war sehr aufschlussreich, sie hat alle meine Erwartungen übertroffen – wie der Moderator Prof. Jakob Halle zusammenfasste.
Ein separates Diskussionspanel mit wissenschaftlicher Sitzung wurde den genetischen Aspekten der Schwerhörigkeit gewidmet. Die Studien zeigen, dass 1-6/1000 Kinder weltweit mit hochgradiger Schwerhörigkeit zur Welt kommt. Die häufigste Ursache bilden hier die Gene GJB2 und GJB6. Es gibt aber viele weitere Gene (schätzungsweise über 200), die für Schwerhörigkeit verantwortlich sind, wobei das Wissen über die genetischen Ursachen von Hörstörungen noch relativ eingeschränkt ist. Im Rahmen der Vorträge wurden Ergebnisse der von Genetikern weltweit durchgeführten Recherche nach neuen Mutationen präsentiert, die verschiedene Arten von Hörstörungen verursachen. Die Studien werden – wie in der Abteilung für Genetik des Institutes für Physiologie und Pathologie des Gehörs – unter Beteiligung von Patienten (Kinder und Erwachsene) darunter denjenigen, die für eine Cochlea-Implantation qualifiziert sind, oder aber an Tiermodellen (Zebrafisch) durchgeführt.
Vor dem Hintergrund der weltweit zunehmenden, unter anderem durch allgegenwärtiger Lärm verursachten Hörproblemen war die Session zur Prävention von Hörverlust äußerst wichtig. Dr. N. F. Moroe von dem Audiologischen Klinikum der Universität Johannesburg präsentierte einige sehr interessante Ergebnisse einer Befragung mit Taxifahrern und Fahrern öffentlicher Verkehrsmittel, die die Auswirkungen einer längeren Stadtlärmexposition zeigten. Die meisten Befragten gaben an, dass sie an Tinnitus leiden, Verstopfungsgefühl in den Ohren bzw. Hörprobleme haben. Von den 78 Prozent der Teilnehmer, die über Beschwerden berichteten, wurden sogar 74 Prozent nie über die schädlichen Auswirkungen von Lärm auf das Gehör informiert (gewarnt). Das Bewusstsein des Problems ist somit in der untersuchten Berufsgruppe sehr gering. Wie Dr. Monroe betonte, sollten solche Menschen audiologisch betreut werden, und die Aufgabe lokaler Audiologen sei es, den Menschen bewusst zu machen, wie sehr der Lärm das Gehör schädigt. Auf der Sitzung wurde darauf hingewiesen, dass es die Mission aller Spezialisten auf der ganzen Welt ist, denn der Lärm gilt als einer der gefährlichsten “Schadstoffe”. Es ist optimistisch, dass auch gute Nachrichten da sind. Wissenschaftler untersuchen, ob ein lärmbedingter Hörverlust zumindest teilweise durch die Einnahme antioxidativer Verbindungen verhindert werden kann. Die Belastung durch Lärm verursacht unter anderem Entzündungsprozesse und Freisetzung freier Radikale sowie oxidativen Stress, der die Hörzellen in der Cochlea schädigt. Substanzen, die Antioxidantien enthalten, wie beispielsweise Propolis (Bienenkitt), auf die Dr. Baytok von der Istanbul Aydlin University hinweist, nivellieren gemäß einer der eingereichten Studien diese negativen Prozesse, weshalb sie einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und – wie sich nun herausstellt – auch auf das Gehör haben.
Der Kongress bot u.a. 55 wissenschaftliche Sessionen und 12 Sondersitzungen, 23 Hauptvorträge, 12 Podiumsdiskussionen, 2 Diskussionen im Rahmen des runden Tischs. Während des feierlichen Kongressabschlusses bedankte sich Prof. Henryk Skarżyński bei allen Teilnehmern des ersten – und zugleich am meisten besuchten – Treffens nach der Pandemiepause, zu dem Spezialisten aus allen Kontinenten nach Kajetany und Warschau kamen.
– In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass die Verbesserung der Kommunikation eine wichtige Rolle im globalen Wissensaustausch in allen wissenschaftlichen Bereichen, auch in der Audiologie spielt. Die ISA berücksichtigte die laufenden Bedürfnisse durch die Bereitstellung eines Internetkommunikationssystems. Wir konnten jedoch feststellen, dass die Kommunikation über elektronische Medien die persönlichen Treffen nicht ersetzen kann, bei denen Wissenschaftler die Möglichkeit haben, in entspannter Atmosphäre direkt an Diskussionen teilzunehmen – wie Prof. Kurt Stephan, Präsident der ISA sagte. Er betonte zu Beginn des Kongresses, dass die Warschauer audiologische Gemeinschaft eine Gelegenheit für ein solches Treffen geschaffen habe. Der nächste internationale audiologische Kongress wird für den September 2024 in Paris geplant.
Einer der letzten Punkte der Kongress-Tagesordnung, auf den die meisten warteten, war der Aran-Glorig-Vortrag (Aran Glorig Oration). Die Vorträge zum Gedenken an den Arzt, der für die HNO-Heilkunde am meisten verdient ist, gehören zur Tradition der ISA-Kongresse. In diesem Jahr wurde er von Dr. Ross Roeser gehalten, der seit Jahrzehnten als Leader auf dem Gebiet der Audiologie gilt. Neben der Arbeit an der Anwendung von Hörgeräten für die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit spielte er die Schlüsselrolle auch in der Definition und Erweiterung des Praxisumfangs von Audiologen in den USA. Er gründete die American Auditory Society und American Academy of Audiology. Er ist Gründer und Chefredakteur der ersten audiologischen Zeitschrift Ear and Hearing und aktuell pensionierter Chefredakteur von International Journal of Audiology. Als erfahrener Arzt und Editor, und vor allem als unbestrittene Autorität widmete Dr. Ross Roeser seine Aram Glrig Oration der Suche nach der Wahrheit in der Audiologie. Wie er betonte, ist die Wahrheit in der Internet-Ära mit ungeprüften Informationen und Fake-News immer schwieriger zu finden. Die Wahrheit ist jedoch auch deshalb schwer zu finden, weil unsere Wahrnehmung der Welt durch unsere Sinne verzerrt sein kann. „Glauben Sie an nichts, was Sie hören, und nur an die Hälfte dessen, was Sie sehen oder lesen“, wie Prof. Roeser scherzte. In Bezug auf wissenschaftliche Veröffentlichungen forderte er zu ihrer gründlichen Überprüfung durch wissenschaftliche Gremien auf.
Ein besonderer Tagesordnungspunkt des letzten Kongresstages war die Sondersitzung der Weltgesundheitsorganisation, auf der Dr. Shelly Chadha die Ergebnisse des im vergangenen Jahr herausgegebenen WHO-Berichts darbot, der zeigt, dass fast 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt bis 2050 Hörprobleme haben wird. Nach Schätzungen sollen zumindest 700 Millionen Menschen Zugang zur fachärztlichen Betreuung brauchen. Wie berichtet, liegt der Grund für den wachsenden Anteil an Menschen mit Hörproblemen unter anderem im Lärm, im Einsatz verschiedener elektronischer Geräte mit Kopfhörern (ca. 1,1 Milliarden junge Menschen sind durch Hörschäden im Zusammenhang mit dem Musikhören über Kopfhörer gefährdet) und in Ohrinfektionen. Den meisten dieser Probleme kann vorgebeugt werden. Die WHO hat eine Strategie zur Prävention von Hörverlust entwickelt, die unter anderem Folgendes umfasst: Hörscreening in allen Altersgruppen, Prävention von Ohrerkrankungen und deren richtige Behandlung, Lärmminderung, Verbreitung von Wissen über Risiken für das Gehör und über Behandlungsmöglichkeiten von Hörstörungen. Unter Bezugnahme auf das Konzept des allgemeinen Hörscreenings und der medizinischen Interventionen betonte Dr. Shelly Chadna, dass das Geld, das für solche Aktivitäten ausgegeben wird, keine Kosten, sondern eine Investition in die Gesundheit darstellt – 1 Dollar, der für Vorsorge- und Therapiemaßnahmen ausgegeben wird, bringt 16 Dollar Gewinn (Personen, die eine Hörbehinderung vermeiden können, werden nicht zur Belastung von Staatshaushalten).
Wie die WHO betont, bildet der Zugang zur medizinischen Pflege für Personen mit Hörstörungen eine riesige Herausforderung. Leider haben weltweit die meisten Patienten (70 Proz.) keinen Zugang zur Diagnostik und Hörbehandlung. Die WHO konzentriert sich daher auf Maßnahmen, die die Situation ändern sollen. Sie betont, dass künftig jeder Mensch mit Hörbehinderung die Möglichkeit einer Behandlung und Rehabilitation haben sollte, und weist auf die Notwendigkeit hin, spezialisierte Einrichtungen auszubauen und die Zahl der Spezialisten zu erhöhen.
Auf das letztere Problem wiesen die Experten während der Diskussionsrunde zu Modellen der audiologischen Ausbildung unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Artur Lorens unter Beteiligung von Prof. R. Rajeswaran, J. Hall und S. Hatzopoulos hin. Angesichts des Ausmaßes der Hörprobleme weltweit mangelt es stark an Audiologen. Die Situation ist dramatisch: In den Entwicklungsländern gibt es keine Ausbildungsmöglichkeit im Bereich der Audiologie und ein Facharzt fällt auf einige (1-10) Millionen Einwohner (!). In manchen Weltregionen sind 100- bis 1000-mal weniger Audiologen als in Europa da. Sogar auf dem alten Kontinent oder in Amerika ist die Ausbildung von Spezialisten auf diesem Gebiet verbesserungsbedürftig. Wie während der Sitzung betont wurde, gestalten sich die Ausbildungsmodelle in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Z.B. in Polen ist die Audiologie eine der medizinischen Facharztweiterbildungen. Die Lösung gilt aber nicht für alle Länder; in den USA beispielsweise muss ein Audiologe nicht unbedingt ein Arzt sein. Wie betont wurde, ist die Audiologie ein sehr breites Feld mit Elementen der Medizin, Physiologie, Psychologie, Ingenieurwissenschaften und anderer Gebiete. Daher bleibt die Frage offen, welches Ausbildungsmodell, einschließlich des E-Learnings, in Zukunft gewählt werden soll, damit jeder Patient – wie durch die WHO angenommen –, der es braucht, mit geeigneten Hörgeräten versorgt werden kann.
Am letzten Kongresstag wurde das zuvor diskutierte Thema der Vorteile des Einsatzes von Cochlea-Implantaten bei verschiedenen Patientengruppen fortgesetzt, u. a bei asymmetrischem Gehör, Cogan-Syndrom, einseitigem Hörverlust usw. Bei Kindern, die mit dem letztgenannten Defekt geboren wurden, ist die Behandlung – wie von Prof. A. van Wieringen von dem University Hospitals Leuven in Belgien betonte – äußerst wichtig, denn die einseitige Taubheit erschwert ihnen nicht nur die Lokalisation von Geräuschen und das Sprachverstehen im Lärm, sondern sie ist auch mit dem Risiko einer verzögerten Sprachentwicklung verbunden. Die Implantation eines Cochlea-Implantates in das taube Ohr kann das bilaterale Hören wiederherstellen. Je früher der Eingriff durchgeführt wird, desto bessere Ergebnisse sind zu erwarten. Dennoch bildet die Therapie mit Implantatversorgung des tauben Ohres in Belgien ähnlich wie in vielen anderen Ländern keine Standardbehandlung. Dr. M.J. Kwak von der University of Ulsan College of Medicine in Seoul betonte die Vorteile der Verwendung von Cochlea-Implantaten bei den ältesten Patienten mit Schallempfindungsschwerhörigkeit; die von ihm untersuchte Gruppe umfasste Menschen im Alter von 60 bis 80 Jahren, die ein gutes Sprachverständnis hatten, und solche, die damit Probleme hatten. Die Studie ergab, dass der Grad des Sprachverständnisses bei Implantatträgern von der Dauer der Schwerhörigkeit abhing (bessere Ergebnisse erzielten Patienten mit kurzer Vorgschichte der Schwerhörigkeit). Das Alter des Patienten zum Zeitpunkt der Implantatversorgung hatte keinen relevanten Einfluss auf das Sprachverstehen bei Senioren. Es ist eine sehr wichtige Information, denn in alternden Gesellschaften, einschließlich der polnischen, wird die Seniorengruppe systematisch immer größer und etwa zwei Drittel der Senioren geben Kommunikationsprobleme an.
Am letzten Kongresstag war eine der Sessionen der Ototoxizität gewidmet. Das Gehör kann nicht nur durch manche Medikamente gefährdet werden, sondern auch durch organische Lösungsmittel wie Toluol oder Xylol, die in der Arbeitsumgebung vorhanden sind – wie Dr. A. Fuente von der Universität Montreal berichtete. Er präsentierte Ergebnisse seiner Studie mit Freiwilligen und Tieren, die zeigten, dass die Exposition gegenüber diesen Verbindungen Hörzellen schädigen kann. Wenn Tiere im Rahmen eines Experiments zugleich Lösungsmitteln und Lärm ausgesetzt wurden, entstand ein synergischer Einfluss. Darüber hinaus kann die Exposition gegenüber Lösungsmitteln, wie in Freiwilligenstudien gezeigt wurde, zu einer zentralen Hörstörung führen.
Das sind nur ausgewählte Themen, die am letzten Kongresstag diskutiert wurden. In den wissenschaftlichen Sitzungen griffen Experten viele Themenbereich an; die nächsten Vorträge und Präsentationen betrafen unter anderem elektrophysiologische Tests und ihre Anwendung als objektive Tests in der Hördiagnostik, Hilfsmittel zur Überprüfung des Sprachverstehens, Tests zur Diagnostik zentraler Hörstörungen, inkl. des Gaps in Noise (GIN)-Tests, der seit 2005 verwendet wird. Es wurde auch darüber diskutiert, welches Modell der audiologischen Ausbildung für optimal erachtet werden kann und was im aktuellen audiologischen Ausbildungsweg geändert werden soll.
Einen netten Akzent während der Abschlussfeier des Kongresses bildete die Preisverleihung. Den Audiology Reaserch Best Poster Award (Preis für das beste Plakat) erhielt Pushkar Deshpande (Dänemark). Den Journal of Hearing Science Best Oral Presentation Award (Preis für den besten mündlichen Vortrag) erhielt Mukovhe Phanguphangu (Süfafrika).