Die polnische Schule der Ohrchirurgie ist 30 Jahre alt

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Die polnische Schule der Ohrchirurgie ist 30 Jahre alt

Die polnische Schule der Ohrchirurgie ist 30 Jahre alt

Im Jahr 2022 feiert das Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs das 30. Jubiläum der ersten Implantation eines Cochlea-Implantates in Polen bei einer gehörlosen Person und das 20. Jubiläum der weltweit ersten Implantation eines Cochlea-Implantates bei partiellem Hörverlust. Die beiden von Prof. Henryk Skarżyński durchgeführten Eingriffe bildeten Wendepunkte der Ohrchirurgie und Meilensteine des Fortschritts in der Behandlung von Hörstörungen. Im laufenden Jahr verstreichen 25 Jahre, als das weltweit erste Konzept der Erhaltung der präoperativen Hörreste und der Innenohrstrukturen in New York präsentiert wurde. In der klinischen Praxis war das mit der Erweiterung der damaligen Indikationen für die Implantation von Cochlea-Implantaten um Hunderttausende von Patienten verbunden. Die damals entwickelte und präsentierte chirurgische Strategie eröffnete neue Chancen und Möglichkeiten für die Anwendung von Cochlea-Implantaten bei völlig gehörlosen Menschen.

Die Pionieroperation wurde von Henryk Skarżyński – der damals Dozent war – an der Medizinischen Akademie Warschau durchgeführt. Die polnische Hochschule schloss sich damit einer engen Gruppe hochspezialisierter Zentren in der Welt an, in denen Implantate  das Gehör gehörloser Personen wiederherstellen. Diese Operation war auch der erste Schritt zum Starten des Programms der Cochlea-Implantate in Polen, das Tausende gehörloser und schwerhöriger Patienten in den kommenden Jahren in Anspruch nehmen konnten. Der für die polnischen Ohrchirurgie bahnbrechende Eingriff wurde in der Presse breit angesprochen, und das Thema der operativen Behandlung der Taubheit wurde durch die wichtigsten Medien der damaligen Zeit – Nachrichtensendungen im Fernsehen und Informationsservices in der Presse und im Rundfunk aufgegriffen.

– Die Jubiläen bieten eine Gelegenheit zu Erinnerungen, aber auch zu Reflexionen, Schlussfolgerungen und weiteren Träumen. Die Zusammenstellung dessen, was ich mit meinem Team zusammen geschafft habe, gibt mir eine große Zufriedenheit und Überzeugung, dass wir die Zeit nicht verschwendet haben, und vor allem das Gefühl, dass tiefe Hörfehler, die vor 30 Jahren die Chancen der Patienten auf ein normales Funktionieren durchstrichen, heute kein Hindernis für ein effektives Lernen, Arbeiten, Entwickeln künstlerischer Passionen darstellen – wie Prof. Henryk Skarżyński sagt. – Ich wiederhole es oft gerne: Dank dem Fortschritt in der Medizin können wir fast jeder Person mit Hörbehinderung helfen, und polnische Patienten sind die weltweit ersten bzw. einige von den weltweit ersten, die Zugang zu den modernsten medizinischen Technologien und Methoden der Behandlung der Schwerhörigkeit haben. Ich bin Arzt aus Berufung und deshalb freut mich jede erfolgreiche Operation, auch wenn ich in den letzten 30 Jahren bereits Tausende von Hörimplantaten implantierte und ca. 220 Tsd. andere chirurgische Prozeduren durchführte.  Ich schöpfe meine Kraft aus Freude der Personen, die ein gutes Gehör durch einen Eingriff im Weltzentrum für Gehör wiedergewinnen und dadurch effektiv kommunizieren und Kontakte zu anderen haben können, wodurch sie eine größere Chance auf ein glückliches, erfolgreiches Leben haben. Wie Wieslaw Bator, mein erster Patient mit einem Cochlea-Implantat in Polen sagt: „Die Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen und eigene Gefühle auszudrücken, bildet einen riesigen Reichtum“.

Bis 2002 war eine Cochlea-Implantation weltweit nur im Falle tiefer Hörschäden bzw. beim vollständigen Hörverlust empfohlen. Keine Möglichkeit einer wirksamen Behandlung hatte damals eine zahlreiche Gruppe von Patienten mit partiellem Hörverlust. Diese sehr spezielle Gruppe von Patienten hat ein intaktes bzw. normales Gehör im niedrigen Frequenzbereich, aber das Hören hoher Frequenzen ist beeinträchtigt. In der Praxis bedeutet dies, dass diese Menschen eine gute Tonwahrnehmung haben, aber nicht immer in der Lage sind, die Sprache zu verstehen; sie verstehen in der Regel nur etwa 5 bis 15% der Informationen, die sie auf dem akustischen Weg erhalten, und zwar bei guten akustischen Bedingungen. Prof. Henryk Skarżyński war entschlossen, diesen Patienten auch die Möglichkeit zu geben, gut zu hören.

Nachdem er 1992 das Programm der Cochlea-Implantate eingeführt und mehr als 1500 Implantationen bei Kindern und Erwachsenen durchgeführt hatte, betrachtete er das Problem des partiellen Hörverlustes und die Erhaltung der vorhandenen Hörreste aus einer anderen Perspektive als zuvor. – Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sich das derzeitige Verständnis der partiellen Taubheit etwas von dem bisherigen unterscheidet und dass sich die Kriterien für die Wahl akustischer und elektrischer Methoden, die Hörgeräte, Mittel- und Innenohrimplantate bieten, ändern und ergänzen können – wie sich Prof. H. Skarżyński erinnert. – Dieser neue Ansatz gab uns die Möglichkeit, Patienten zu behandeln, die von klassischen Hörgeräten nicht profitierten und damals keine Indikation für die Implantation eines Cochlea-Implantates hatten. Dieser Ansatz bedeutete, dass es dank der entwickelten ohrchirurgischen Strategie real möglich war, über Behandlung mit den neuesten Technologien der Cochlea-Implantate bei Personen mit Hörbefunden zu sprechen, die auf eine partielle Taubheit hinweisen.

Seit 1997 führte Prof. H. Skarżyński Studien und regelmäßige Operationen bei Patienten mit tiefer Schwerhörigkeit durch, die die Erhaltung der präoperativen Hörreste im niedrigen Frequenzbereich nach der Implantation ermöglichten. Die Studienergebnisse zeigten, dass es eine korrekte Implantation der Elektrode des Implantats in das Innenohr ermöglicht, dass vorhandene Hörreste sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern erhalten bleiben.

– Meine langjährige Arbeit an dem Problem des partiellen Hörverlustes führte am 12. Juli 2002 zur Durchführung der weltweit ersten Implantation eines Cochlea-Implantates bei einer Patientin mit einer solchen Hörstörung und somit zum Start des weltweit ersten Programms zur Behandlung der partiellen Taubheit – wie sich Prof. H. Skarżyński erinnert – Diese erste Patientin war Kasia, die nur Geräusche im niedrigen Frequenzbereich hörte, während die mittleren und hohen Frequenzen für sie überhaupt nicht wahrnehmbar waren. Als Psychologiestudentin verstand sie genau, welche Risiken sie eingeht, wenn sie sich für diese bahnbrechende Therapie entscheidet. Ohne eine richtige Einstellung der Patientin wäre es für mich schwierig, mich für eine Operation zu entscheiden, die vor mir noch niemand auf der Welt durchgeführt hatte.

Die Erarbeitung einer chirurgischen Prozedur, die das Problem der Behandlung des partiellen Hörverlustes löste, eröffnete uns ganz neue Entwicklungsperspektiven. Denn alternde, insbesondere westliche Gesellschaften haben immer größere Probleme mit verschiedenen Typen des partiellen Hörverlustes. Eine der Grundlagen der Entwicklung der modernen  Gesellschaften machen doch der Fortschritt in zwischenmenschlichen Kontakten sowie der Zugang zu und Austausch von Informationen aus. Während die manuellen Kompetenzen am Anfang des 20. Jahrhunderts zu ca. 95% für das Funktionieren und die Position einer Person in der Gesellschaft entscheidend waren, so ist es heute die Kommunikationsfähigkeit, die zu mehr als 94% dafür entscheidend ist. Und ein gutes Gehör ist für sie unentbehrlich. Die Entwicklung eines Behandlungsverfahrens für den partiellen Hörverlust bot somit eine Chance, Millionen von Menschen zu helfen, die aufgrund verschiedener Typen von Hörstörungen nicht normal in der modernen Welt funktionieren können.

„Der Anfang war sehr bescheiden, in einem kleinen Labor, in dem sich nur 8 Arbeitsplätze zum Üben an Präparaten befanden – wie Prof. H. Skarżyński sagt. – Heute verfügen wir im Weltzentrum für Gehör am Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs über das weltweit beste und größte Labor zum Üben chirurgischer Techniken. Es ist uns gelungen, das Bildungszentrum mit der einmaligen Arbeitsstelle mit 30 ohr- und rhinochirurgischen Arbeitsplätzen zu erbauen, die mit modernen Geräten für das Üben an anatomischen Präparaten und Computersimulatoren ausgestattet sind. Während der 64. Ausgabe des Window Approach Workshop (WAW) führte ich zusammen mit dem Team des Weltzentrums für Gehör über 1300 ohrchirurgische Schauoperationen durch und präsentierte damit Behandlungsmethoden für verschiedene Arten der Taubheit, einschließlich des partiellen Hörverlustes mit Erhaltung der nicht beschädigten Innenohrstrukturen.

In vielen Fällen waren es bahnbrechende originale chirurgische Lösungen für die Behandlung neuer Zielgruppen von Patienten unterschiedlichen Alters. Vor Ort im Weltzentrum für Gehör wurden die Operationen von mehr als 8.000 Spezialisten aus allen Kontinenten beobachtet.

Aktuell befinden sich über 12,5 Tsd. Hörimplantatträger in Betreuung der Spezialisten aus Kajetany. Bis heute wurden fast 4,5 Mio. Untersuchungen und Beratungen und über 600 Tsd. chirurgische Prozeduren am Institut durchgeführt.