Einst taub oder hochgradig schwerhörig, können sie heute ihren Leidenschaften nachgehen und sogar eine professionelle künstlerische Karriere erwägen. Sie haben ihre unglaubliche innere Stärke, Entschlossenheit, außerordentlichen Fleiß und Talent bewiesen. Und sie haben mit ihren künstlerischen Leistungen gezeigt, wie die Grenzen des Unmöglichen überwunden werden können und überwunden werden sollen. Sie wurden zu einem Beweis für die Genialität der Wissenschaft sowie die Macht der musikalischen Leidenschaften.
Fantastische Teilnehmer
– Als ich im Jahre 1992 die erste Cochlea-Implantat-Operation in Polen an einem gehörlosen Patienten durchführte, wagte ich nicht einmal davon zu träumen, dass wir künftig in der Lage sein werden, Hörstörungen so erfolgreich zu behandeln und dass wir so erstaunliche Ergebnisse erleben werden. Heute ist das Realität – wir können nahezu jedem Patienten helfen – sagt Professor Henryk Skarżyński, Direktor des Instituts für Physiologie und Pathologie des Gehörs und Initiator des Festivals „Schneckenrhythmen“.
Gehörlose Kinder, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit dazu verurteilt waren, in einer Welt der Stille zu leben, können sich heute dank Cochlea-Implantaten ordnungsgemäß entwickeln und Regelschulen oder sogar Musikschulen besuchen. Sie können nicht nur singen und Instrumente spielen, sondern auch – wenn sie genug Talent und Ausdauer besitzen – ernsthaft eine künstlerische Karriere in Erwägung ziehen – betont der Professor. Mit den heutigen Behandlungsmethoden ist eine Hörbehinderung kein Hindernis mehr.
– Als ich die Teilnehmer begrüßte und den Finalisten jeder Ausgabe des Festivals gratulierte, betonte ich immer meine Überzeugung, dass sich diese Mühe durchaus gelohnt hat. Ich glaube, dass es für viele talentierte Menschen und ihre Angehörigen einfach ein unvergessliches Abenteuer war, und für einige – davon bin ich fest überzeugt – wurde es sogar der Auftakt zu einer Musikkarriere – so der Professor.
Und er erzählt, wie er vor einigen Jahren darum kämpfte, das Gehör einer der Musikschülerinnen wiederherzustellen und dabei auf die Idee kam, die künstlerischen Talente – für Gesang und Musik – die durch Fortschritte in der Wissenschaft und Medizin zutage gefördert werden konnten, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dieser Kampf damals wurde mit einem Erfolg gekrönt. Nachdem bei der Patientin das Cochlea-Implantat eingesetzt worden war, bestand sie das Abitur, schloss das Medizinstudium ab, verteidigte die Doktorarbeit und arbeitet nun als Assistenzprofessorin an einer medizinischen Universität. – Und sie spielt immer noch wunderbar Klavier, was beweist, dass man mit Cochlea-Implantaten auch musikalische Träume verwirklichen kann – sagt Professor Henryk Skarżyński mit einem Lächeln.
Über die Geschichte von Małgosia und den anderen Patienten des Professors ließe sich sehr viel schreiben. Ihre gesundheitlichen Erfahrungen und ihre außergewöhnliche Determination, sich in der Welt der Klänge zurechtzufinden, sind hervorragender Stoff für ein Drehbuch. Einer der Patienten, Grzegorz, wurde bereits zum Protagonisten von gleich zwei Filmen: dem Dokumentarfilm „Meine Mondscheinsonate“ unter der Regie von Barbara Kaczyńska, der Direktorin des Festivals „Schneckenrhythmen“ (verfügbar auf YouTube), und dem Spielfilm „Sonate“ unter der Regie von Bartosz Blaschke (verfügbar auf Netflix). Einige Patienten waren auch in dem Film „Können Sie mich hören?“ von Agnieszka Krótki-Żmijewska zu sehen. Die talentierten Patienten des Professors spielten auch in Luiza Budejkos Film „Der Fall Beethovens“. Mehrere Preisträger des Festivals, Patienten von Professor Henryk Skarżyński, traten in dem Musical „Unterbrochene Stille“ auf, dessen Libretto von Professor Henryk Skarżyński geschrieben und die Musik von Krzesimir Dębski komponiert wurde, und bei dem Michał Znaniecki die Regie führte.
– Heute bin ich davon überzeugt, dass es sich durchaus gelohnt hat, die „Schneckenrhythmen” zu organisieren. Es hat sich gelohnt, die herausragenden Talente und Fähigkeiten unserer Patienten zu präsentieren – sagt Professor Henryk Skarżyński. Während der weiteren Ausgaben haben sich mehr als tausend Künstler aus der ganzen Welt zur Teilnahme am Festival bereit erklärt.
Hervorragende Jury
Die Festivalteilnehmer sind wirklich fantastisch in dem, was sie machen. Bei den Galakonzerten treten anschließend die Besten der Besten auf, gewählt durch die Jury des Festivals, zu der innerhalb von 10 Jahren u. a. folgende Mitglieder gehören: (Ⴕ) Prof. Ryszard Zimak, Prof. Janusz Olejniczak, Prof. Ryszard Karczykowski, Stanisław Leszczyński, Bogna Kowalska, Piotr Metz, Jacek Wójcicki, Prof. Jerzy Stuhr, Monika Zalewska, Roman Czejarek, Vadim Brodski, Irena Santor, Grzegorz Wilk, Janusz Tylman, Dr. Alicja Węgorzewska-Whiskerd, Jacek Wroński, Prof. Katarzyna Popowa-Zydroń, Johanna Pätzold, Małgorzata Małaszko-Stasiewicz, (Ⴕ) Prof. Jerzy Marchwiński, Maciej Miecznikowski, (Ⴕ) Ewa Podleś, Christine Rocca, Prof. Anna Jastrzębska-Quinn, Hanna Śleszyńska, Marcin Kusy, Michał Klauza, Julita Sokołowska, Prof. Ewa Iżykowska-Lipińska, Krzysztof Malicki.
Den Vorsitz dieses prominenten Gremiums führte der 2021 verstorbene Professor Ryszard Zimak, Dirigent, Pädagoge und langjähriger Rektor der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik in Warschau.
Professor Zimak war sichtlich gerührt, als er sich an die erste Ausgabe der „Schneckenrhythmen“ erinnerte: – Ich habe die Einladung von Professor Henryk Skarżyński, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, mit großer Freude angenommen. Zugleich aber auch mit einer gewissen Unsicherheit, wie ich gehörlose Menschen beim Spielen und Singen bewerten soll. Welche Kriterien ich anwenden soll. Gemeinsam mit den anderen Jurymitgliedern haben wir uns darauf geeinigt, dass wir nicht bewerten sondern auswählen werden, denn wie Professor Skarżyński schon sagte, bei diesem Festival ist jeder ein Gewinner. Wenn ich nach fünf Jahren die Gewinner der ersten, zweiten oder dritten Ausgabe im Duett mit professionellen Musikern und in Begleitung eines Sinfonieorchesters auf der Bühne stehen sehe, weiß ich, dass ich mich in einigen Fällen geirrt habe. Nur wenige Musikstudenten sind in der Lage, sich mit dem Orchester „einzuspielen”, weil man dazu sog. analytisches Hören braucht. Und die Gewinner der vorherigen Ausgaben haben das einfach perfekt geschafft. Ihre Duette mit herausragenden Musikern waren wirklich meisterhaft. Außerdem kann man bei ihnen einen enormen Fortschritt in der Spiel- und Gesangstechnik erkennen. Im letzteren Fall ist ihre Arbeit an der Sprachausgabe einfach unglaublich. Ich habe großen Respekt vor allen diesen Künstlern, denn ich weiß genau, wie der Weg zum Musiker aussieht. Menschen mit Cochlea-Implantaten, die uns mit ihrer Musik begeistern, sind wahre Helden. Ich wünsche mir, dass diese lobenswerte Initiative sowohl hierzulande als auch in Europa und weltweit verbreitet wird. Wie Professor Zimak betonte, war es voll und ganz Professor Henryk Skarżyński zu verdanken, dass seine Patienten diese Stücke auf der großen Bühne so wunderschön aufführen konnten.
Wenn es um die Festivaljury geht, dürfen zwei Mitglieder nicht unerwähnt gelassen werden – beruflich ein Bühnenduo und privat ein Ehepaar: Professor Jerzy Marchwiński und Ewa Podleś. Der Professor, ein hervorragender Pianist, Kammermusiker und Pädagoge, verstarb im November 2023. Seine Ehefrau, eine weltbekannte Opern- und Bühnensängerin, eine Kontra-Altistin, die oft betonte, dass sie nicht dazu lebe, um zu singen, sondern singe, um zu leben, folgte seinem Ehegatten im Januar 2024.
Während der Galakonzerte wurden die Preisträger von dem Orchester des Polnischen Rundfunks unter der Leitung von Professor Krzesimir Dębski, dem Tadeusz-Sygietyński-Orchester des Staatlichen Tanz- und Gesangsensemble „Mazowsze“ unter der Leitung von Wojciech Gwiszcz, dem Divertimento Orchester von Elżbieta Ostrowska, dem Chor der Technischen Universität Warschau, dem Bonjour Streichquartett und dem Masovia String Quartet begleitet.
An den Finalkonzerten nahmen neben den Künstlern-Patienten auch viele bekannte und beliebte Künstler teil, von denen einige ebenfalls unter Hörproblemen leiden. Heute können sie – nach eigenen Aussagen – ihren Beruf nur ausüben, weil sie sich zuvor einer wirksamen Behandlung unterzogen haben.
Begleitveranstaltungen
Das Festival findet parallel zu einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz statt, die sich vor allem mit der Beurteilung der Musikwahrnehmung bei Personen mit Hörimplantaten beschäftigt. An den Seminaren nahmen zahlreiche Wissenschaftler aus dem In- und Ausland teil, darunter Prof. Nina Kraus von der Northwestern University (USA), die sich mit der Erforschung der Musikwahrnehmung befasst, Dr. Christine Rocca, Direktorin des Music Therapy Center Nordoff Robbins/Mary Hare Music Therapy Unit (Großbritannien), Dr. Heike Argstatter aus dem German Center for Music Therapy Research in Heidelberg, Prof. Stavros Hatzopoulos aus Ferrara sowie Gilles Cognat – langjähriger Präsident der European Association of Cochlea Implant Users (EURO-CIU).
Musik und Medizin
Das Festival „Schneckenrhythmen“ ist die weltweit erste Musikveranstaltung dieser Art, jedoch nicht die erste Veranstaltung des Instituts für Physiologie und Pathologie des Gehörs, an der musikalisch begabte Patienten teilnehmen. – Sie sind schon mehrmals bei unseren wichtigen Feierlichkeiten oder Jahrestagen zum Gedenken an bahnbrechende Operationen und Unternehmungen aufgetreten – betont Professor Henryk Skarżyński.
Das Institut für Physiologie und Pathologie des Gehörs ist Polens führendes Forschungsinstitut und hoch spezialisiertes Krankenhaus. Seit über 20 Jahren werden hier die meisten hörverbessernden Operationen der Welt vorgenommen. Innerhalb von 32 Jahren wurden hier über 600.000 chirurgische Eingriffe und über 5 Millionen Konsultationen und Untersuchungen durchgeführt. Die Einrichtung betreut derzeit rund 14.000 Personen mit Hörimplantaten.
– Ich freue mich sehr, dass wir vielen Patienten neben der medizinischen Spitzenversorgung noch etwas anderes bieten können – und zwar Unterstützung bei der Verwirklichung von Leidenschaften und Träumen sowie bei der beruflichen Entwicklung. Ohne diese Unterstützung und Freundlichkeit vieler Menschen hätte selbst der größte Traum an Schwung verloren und die Ideen hätten nicht realisiert werden können – betont der Professor. – Im Finale jeder Ausgabe sagte ich immer: „Sehr verehrte Gäste, Freunde, meine Damen und Herren, ich möchte Sie herzlich zu diesem Galakonzert einladen – einem außergewöhnlichen Ereignis, bei dem Musik und Medizin eine gemeinsame Sprache sprechen. Genießen Sie die Ergebnisse dieser Kombination – erinnert sich Professor Henryk Skarżyński. Und jeder Auftritt ist ein Beweis dafür, wie viel Hörbehinderte mit Cochlea-Implantaten erreichen können und wie schnell sich ihr Talent dank des medizinischen Fortschritts entwickeln kann. Und wie die Medizin das Leben zum Besseren verändert.
– Ich habe versucht, dieses Phänomen u. a. mit den Worten des Gedichts „Die Welt, die ich höre” zu beschreiben. Und als Professor Krzesimir Dębski die Musik zu diesem Gedicht komponierte, wurde das Stück zur Festivalhymne und es wird jedes Jahr von Barbara Kaczyńska gesungen, deren Engagement bei der Organisation des Festivals sowie des wissenschaftlichen Teiles und deren Gesangstalent von höchstem Niveau sind. Seit Jahren singt sie die Festivalhymne mit großer Leidenschaft zusammen mit Maciej Miecznikowski, einem passiven Cochlea-Implantat-Nutzer, wie er sich selbst nennt – berichtet der Professor. Die Hymne wird zusammen mit allen Preisträgern und Künstlern, die an den Finalkonzerten teilnehmen, gesungen.
„Das Gehör verändert sich, die Stimme verändert sich, alles gewinnt eine neue Bedeutung…“ – heute, nach so vielen Jahren der mit diesem Festival verbundenen Erfahrungen und Emotionen, klingen diese Worte ganz besonders stark an.
Anlässlich des 10. Festivals „Schneckenrhythmen“ wurde eine Monographie veröffentlicht, die alle bisherigen Ereignisse und Emotionen dieses Festivals zusammenfasst. Diese Monographie erzählt von Personen, die während der weiteren Ausgaben des Festivals das Publikum mit ihren Fähigkeiten überrascht, begeistert, unterhalten und manchmal sogar zu Tränen gerührt haben.